Spaziergänge in Gesichtern
(Frankfurter Rundschau, 15. Februar 1984, Auszug)

Zone der Konzentration. Holger Herrmanns irritierend naherückende Arbeiten aus den letzten sieben Jahren. Menschen tauchen aus dem verdeckten Farbgrund der Leinwand auf. Die Farben zeigen ihre Beute (den Menschen) her, und halten sie gefangen. Die Farben verschleiern und offenbaren, gleich der Erscheinung eines Spiegelbildes aus der Oberfläche des Wassers.
Holger Herrmann zeigt Ausschnitte, lenkt den Blick auf ein Lachen, ein Zweifeln, eine Ecke Traurigkeit, auf Furcht. Einfarbige Bilder, kreuzförmig oder parallel zugeordnet, reflektieren den tonangebenden Farbwert. Die gegenstandsfreie Fläche ist das Gegenüber für das einem verblassten Foto ähnelnde Bild. Die von durchdringender Farbluft ummantelten Personen sind der Wirklichkeit ebenso entrückt, wie sie Teil der Wirklichkeit sind. Das Leben ist kein Traum, es ist viel eher eine Täuschung. Alles Erzählerische verschlüsselt der Künstler.

„Zwei in Fünf“, was heißt das ? Detektivarbeit ? Zwei Personen zwischen drei Farbfeldern. „Der
Spaziergänger“ verschwindet, die Jacke über dem Arm in der Tiefe des Bildes, die sich auf der
zweiten Bildhälfte in Wolkenschwaden auflöst. Grau, Grünblau, Graublau.

In den zwei vergangenen Jahren hat Holger Herrmann damit begonnen, durch angestellte Stäbe,
Trennungslatten, seine Bilder zu dynamisieren. Austritt aus den Schranken des Tafelbildes ? Flucht ? Kontakt mit dem Raum, der Atmosphäre ? Das sind noch Experimente, wie auch die Gemälde „Schwarz-Weiss“ und „Ventre-Saint-Gris“ (zwischen 1982 und 83 entstanden) neue Wege öffnen. Ein Weitergehen ohne sicheren Boden. Holger Herrmann hat seine malerische Glätte aufgebrochen. Farbe ist nicht mehr die Schutzhülle, das Versteck für die Form, Farbe wirkt jetzt durchaus dramatisch, flüchtig. Schade, wenn der Maler es aufgeben würde, gegen die Zeit zu arbeiten. Man muß der Kunsthalle danken, dass in dem Werkstattraum diese Ausstellung zustande kam. Der 1942 geborene Städelabsolvent Holger Herrmann lebt in Frankfurt. Die aufdringliche Stille, die Geheimnisse seiner Bilder sind über das laute Marktgeschrei erhaben. Dass ihn die kosmopolitischen Ausstellungsarrangeure bis jetzt übersehen haben, ärgerlich ist es, doch in der Zeit des kunstlosen Kunstverständnisses kein Wunder.

Verena Auffermann
(Kunsthalle Darmstadt. Bis 4. März.)