Wieder gilt es, der Schönheit der Farbe gleichsam Herr zu werden, dem schönen Schein zu trotzen oder ihm doch, und sei es nur für einen Moment, Einlass zu gewähren. Im Zusammenhang mit einem Filmprojekt fand Holger Herrmann 1998 zum Gegenstand und zur Natur als bildwürdige Themen. Einfache Streichhölzer, alleine oder nebeneinander aufgereiht, stehen neben delikat gemalten, duftigen, weißen, fast zur reinen Pinselspur abstrahierten Lilienknospen, die sich auf teils zurückhaltendem edlem graugrünem, teils farbenfrohem gelbem Grund entfalten. Capriccios, eine Laune des Künstlers? Ausschnitte einer neuen bildnerischen Welt zeigen diese kleinformatigen Werke. Wir kennen die Lilie als Motiv der Reinheit Mariens aus unzähligen Darstellungen der Kunstgeschichte. Auf einer Tafel Matthias Grünewalds, der „Stuppacher Madonna“, fand Holger Herrmann dieses Detail, dessen Schönheit und vielleicht nicht zuletzt auch dessen Symbolkraft ihn zur Darstellung veranlasste. Lilie und Streichholz als Synonyme für Werden und Vergehen? Sinnenreiche Metaphern für ein kurzes Aufleuchten, Erblühen? Als gleichsam skulpturale Verwandte, die weniger einen flüchtigen Zustand als vielmehr einen konkreten Ort beschreiben, erscheinen in diesem Zusammenhang die 1994 entstandenen, mit Ölfarbe gefassten „Stelen“, die Holger Herrmann im Jahre 1998 mit Darstellungen von Zündhölzern, Figuren und Textzitaten zu einer Rauminstallation vereinte.5

„Ein erster großer Schritt“, wie Holger Herrmann es selbst in seiner Ansprache „Ein Lächeln entlockt dir die Republik“ zur gleichnamigen Ausstellung formulierte6 : „Ich habe (...) einen ersten großen Schritt gemacht / mit diesen Kunstbalken; / mit diesen Farbhölzern / bin ich aus dem flachen Tafelbild herausgetreten, / habe mit Malen, / denn sie sind gemalt, bemalt, mit dem Handballen beschichtet - / mit meiner Ölfarbe, / die ich für die Tafelbilder verwende, aufgetragen, / sie sind dreidimensionale Bilder, / haben fünf Flächen zur Ansicht, / die Sie vor Ihren Augen aufblättern können - / habe mit Malen / und der Form und Gestalt / zum ersten Mal einen Ort bestimmt, / und nicht nur einen Zustand, eine Befindlichkeit, / einen Materialzustand, den das Tafelbild repräsentiert. / Wie glücklich kann ein Entdecker sein!“7