Aus dem erwähnten Bildpaar des Widerborstigen und seines Begleiters entwickelt Holger Herrmann um die Jahreswende 2000/2001 eine Reihe von ein- bis sechsfarbigen Holzschnitten, welche die zwei Figuren wie Stempel nutzt und diese teils ganz, teils fragmentarisch, einzeln, zusammen oder in einer Dreiergruppe zu immer neuen Form- und Farbverbindungen kombiniert. „Die Besessenen“ lautet der Titel dieser druckgraphischen Folge. Ihnen ist eine neue Qualität zu Eigen. Mit dem Stempelverfahren, kann die einmal gefundene Form immer wieder reproduziert werden. Im Gegensatz zu der vorangegangenen gebückten, von Künstlerhand stets individuell neu zu schaffenden Gestalt wird mit Hilfe dieses Verfahrens der Ursprung ihrer äußeren Form immer gleich bleiben. Durch die unterschiedliche Farbigkeit, durch die Fragmentierung der Körper und nicht zuletzt durch die Vielfalt der Zusammensetzung der Druckteile und einer nicht festgelegten Präsentationsreihung, wird eine neue Möglichkeit der formalen Auseinandersetzung mit dem Menschenbild vor Augen geführt, die, so objektiv sie durch den scheinbar neutralisierenden Vorgang des „Stempelns“ auch erscheinen mag, doch von einem drängenden, obsessiven Erkenntnisdrang geleitet ist.

Jedoch gelingt es Holger Herrmann immer wieder, nicht zuletzt durch die Hinwendung zum Material Farbe, sich der Vereinnahmung seiner Figur zu entziehen, ihr die kritische Distanz entgegenzubringen, die es braucht, um in ihr und an ihr stets neue Fragestellungen nach der Substanz und Präsenz vom graphischen Medium der Linie und der rein malerischen Erscheinung von Farbe und Fläche zu erproben – um letztendlich jene Figur immer wieder neu zu finden. „Zeichnung, Papier, Herkunft, der Ort, die freie Wahl, Zukunft“ beschreibt Holger Herrmann in einer der 2001 entstandenen „Reflexionen“ die fruchtbare Basis, aus der sich ein „Werkstück“ formen lässt. „Die Reihe wird fortgeschrieben. Sie kennt keine Begrenzung“8.

Birgit Möckel